Chefarzt: Zu viele Schwangere nehmen zu viele Medikamente

Pressemitteilung /

Prof. Dr. Daniel Grandt, Chefarzt auf dem Winterberg, ist erneut Autor des aktuellen Arzneimittelreports der BARMER.

Drei von zehn Frauen „im gebärfähigen Alter“ nehmen laut Barmer-Analyse mindestens ein Arzneimittel ein. Einige Medikamente können aber gerade in den ersten Wochen einer Schwangerschaft potenziell kindsschädigende Wirkungen entfalten (so genannte „Teratogene“ – gemeint sind äußere Einwirkungen, die Fehlbildungen hervorrufen können: fruchtschädigende Stoffe, sowie Viren und ionisierende Strahlung kann damit gemeint sein).

Diese Phase ist eine Zeit, in der die Schwangerschaft häufig noch nicht bekannt ist, aber sehr viel bei dem Fötus passiert, beispielsweise die Organ-Bildung. Die einzig sichere Methode, medikamentenbedingte schwere Fehlbildungen zu vermeiden, ist daher, verordnete Arzneimittel vor einer Schwangerschaft auf für das ungeborene Leben schädliche Wirkungen zu überprüfen und die Medikation abzusetzen oder umzustellen. 

In der Schwangerschaft würden Medikamente häufig zu spät auf mögliche Schäden für das ungeborene Kind überprüft, stellte der Autor des Arzneimittelreports und Chefarzt der Inneren Medizin I im Klinikum Saarbrücken, Prof. Dr. Daniel Grandt, fest. Der Schutz des ungeborenen Kindes müsse bereits vor der Schwangerschaft beginnen. Dazu sei die Gesamtmedikation der Frauen „grundsätzlich auf kindsschädigende Risiken“ zu überprüfen.

Jedes 10. Kind betroffen

Für weniger als 30 Arzneistoffe ist aktuell überhaupt nachgewiesen, dass sie teratogen wirken, also beim Embryo/Fötus zu strukturellen oder funktionalen Organstörungen führen, recherchierte die Deutsche Apothekerzeitung DAZ und warnt: Ein teratogener Effekt kann sich nicht nur in Mißbildungen, sondern auch in Wachstumsverzögerung, Krebserkrankung oder Tod des Embryos/Fetus manifestieren. Ein starkes Teratogen ist zum Beispiel das Antiepileptikum Valproinsäure – es verursacht die höchste Missbildungsrate bei Kindern, die dem Wirkstoff im Mutterleib ausgesetzt sind - jedes 10. Kind ist betroffen (Quelle: EURAP Register).

Nicht alle Wirkstoffe seien im selben Maße gefährlich, betonte Grandt. Es gebe aber Teratogene, die das Risiko für grobe Fehlbildungen des Embryos verzehnfachten. Dass nicht wenige dieser Präparate verordnet würden, belegten Daten aus dem aktuellen Report, sagte Grandt. Demnach erhielten im Jahr 2018 knapp 154.000 Frauen im Alter zwischen 13 und 49 Jahren teratogene Arzneimittel.

„Adäquat beraten kann die Gynäkologin oder der Gynäkologe aber nur, wenn sie oder er die Medikation kennt.“

Prof. Dr. Daniel Grandt
 

Selbst während einer Schwangerschaft wurden die Präparate verordnet. 663 von 66.500 bei der Barmer versicherten Frauen, die 2018 ein Kind zur Welt brachten, hätten im ersten Schwangerschaftsdrittel teratogene Arzneimittel verschrieben bekommen, berichtete Grandt. Rechne man die Zahl auf ganz Deutschland hoch, seien das jedes Jahr rund 7300 Frauen, bei denen es während der Schwangerschaft zu Schädigungen des ungeborenen Kindes kommen könne. Grandt sprach von einem „inakzeptabel hohen Wert“.

Grandt wies daraufhin, dass Hausärzte vor und nach der Schwangerschaft „Hauptverordner“ und damit wichtigste Ansprechpartner in Sachen Arzneimitteltherapie seien. Während der Schwangerschaft übernehme der Gynäkologe diese Funktion. „Adäquat beraten kann die Gynäkologin oder der Gynäkologe aber nur, wenn sie oder er die Medikation kennt“, warb Grandt für eine strukturierte Übersicht der Arzneimittel.

 

Verwendete Quellen:

https://www.aerztezeitung.de/Politik/Barmer-Medikationsplan-fuer-mehr-Sicherheit-in-der-Schwangerschaft-421960.html

https://www.barmer.de/gesundheit-verstehen/schwangerschaft?fbclid=IwAR2YCfm7KkHl9i3WiQJXWdUfG4E2cDtSa-YOUg3SJyQUYc2IdW4A2L93Ulc#327614

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Barmer Arzneimittelreport 2021 im Klinikum Saarbrücken vor Medikamentenregal
Portraitfoto Prof. Dr. Daniel Grandt
Prof. Dr. Daniel Grandt, Chefarzt der Inneren Medizin I auf dem Winterberg