Zwischen Kriegsopfern und schwerstkranken Babys

Pressemitteilung /

Intensivmediziner Michael Bauer begleitete drei Wochen lang Patiententransporte in der Ukraine.

Die Raketen schlagen ein – und nichts ist, wie es war. Das Zuhause des alten Ehepaars ist zerstört, das Bein des Mannes zertrümmert, seine Frau hat ihren Unterschenkel verloren. Binnen Sekunden hat der Krieg ihre Welt verschlungen. Schwer verletzt werden beide aus dem Osten der Ukraine nach Lwiw gebracht, anschließend sollen sie zur Behandlung nach Deutschland geflogen werden. Getrennt – so ist zunächst der Plan, weil sie nicht denselben Nachnamen tragen. Michael Bauer kann mit einem Telefonat verhindern, dass sie auseinandergerissen werden. Der Intensivmediziner des Klinikums Saarbrücken versorgte drei Wochen lang gemeinsam mit anderen freiwilligen Helfern Kriegsopfer in der Ukraine.

Was der 38-Jährige, der in der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin auf dem Winterberg arbeitet, zu erzählen hat, ist kein leicht verdaulicher Stoff: Von Menschen mit Schussverletzungen berichtet er, von offenen Brüchen und starken Verbrennungen. Von Babys mit schwersten Herzfehlern, die im Land nicht mehr versorgt werden konnten, weil durch den Krieg weite Teile der Infrastruktur zusammengebrochen sind. Teilweise wurden sie auf dem Weg zum Flughafen beatmet. „Solche Transporte würde man normalerweise niemals machen“, sagt er.

Michael Bauer setzte sich mit der Hilfsorganisation Cadus in Verbindung

Im Frühjahr hatte Michael Bauer beschlossen, nicht mehr nur die Nachrichten über die dramatischen Entwicklungen in der Ukraine, über die Bombardements und über das Leid zu verfolgen – sondern etwas zu tun. „Ich war vom russischen Angriffskrieg sehr geschockt“, sagt er. „Ich wollte mich solidarisch zeigen. Wir sind hier sehr privilegiert.“ Nachdem er mit seiner Freundin und seinem Chef, PD Dr. Konrad Schwarzkopf, Leiter der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, über seinen Plan gesprochen hatte, nahm er per E-Mail Kontakt zur deutschen Hilfsorganisation Cadus auf, die auch in der Ukraine tätig ist. „Ich fragte nach, ob es Bedarf an ärztlicher Unterstützung gibt.“

Vier Wochen lang musste er zahlreiche bürokratische Hürden überwinden, Dokumente beschaffen, Papiere unterzeichnen. In Berlin wurde er von Cadus-Mitarbeitern geschult, vor allem Sicherheitsanweisungen standen auf dem Programm. Mit dem Zug ging es Ende Mai quer durch Polen bis zur ukrainischen Grenze, danach weiter nach Lwiw. Dort wurde Michael Bauer in einem Hotel untergebracht, die Verpflegung war gut, wie er berichtet, ebenso der Handyempfang. „Die Ukraine ist ein hoch entwickeltes Land, das wissen viele nicht“, betont er. „Die digitale Infrastruktur ist teilweise besser als in Deutschland.“

So konnte er während der folgenden drei Wochen stets problemlos den Kontakt zur Heimat halten. Seine Aufgabe bestand darin, am Bahnhof Verletzte, Verwundete und Kranke in Empfang zu nehmen und einige von ihnen in einem intensivmedizinisch ausgestatteten Transportfahrzeug zum Flugplatz in Polen zu begleiten. Ob es sich bei den Opfern vorwiegend um Zivilisten oder Soldaten handelte, kann Michael Bauer nicht sagen. „Für mich waren das alles Menschen.“

Fehlendes Material zu besorgen, war oft die größte Herausforderung

Die Patiententransporte waren als Konvoi organisiert, sodass der Ausfall eines Fahrzeugs immer kompensiert werden konnte. Einige erwachsene Patienten wurden ins Saarland gebracht, sechs ins Klinikum Saarbrücken, sechs ins Universitätsklinikum (UKS) nach Homburg. Auch das bereits erwähnte ältere Ehepaar, das nach einem Artillerieangriff schwer verwundet war, nahm man im UKS auf.

Obwohl der Krieg in greifbarer Nähe tobte, habe er während des psychisch und physisch anspruchsvollen Einsatzes keine große Angst verspürt, erzählt Michael Bauer. „Man hörte immer mal wieder den Luftalarm, aber viel mehr war da nicht.“ Die Herausforderung sei eher gewesen, fehlendes Material wie Sauerstoffflaschen zu besorgen oder an Kraftstoff zu gelangen. „Dreiviertel der Tankstellen waren geschlossen, und bei den restlichen durfte man maximal 20 Liter abfüllen. Teilweise gab es riesige Schlangen.“

Glücklicherweise war Michael Bauer bei der Bewältigung dieser Probleme nicht auf sich allein gestellt, sondern konnte sich auf ein Team aus anderen ehrenamtlichen Helfern verlassen.  „Auch die Menschen im Land waren herzlich und hilfsbereit“, sagt er. So konnte alles irgendwie geregelt werden – mit einer guten Portion Geduld und Beharrlichkeit. 

Grenzkontrollen nahmen viel Zeit in Anspruch

Am zeitaufwändigsten seien die Fahrten nach Polen und wieder zurück gewesen. „Wegen der Grenzkontrollen haben wir für 200 Kilometer ungefähr fünf Stunden gebraucht“, erzählt Michael Bauer. Die polnischen Sicherheitsleute hätten jeden Transporter genauestens untersucht – um auszuschließen, dass Waffen, Alkohol und Zigaretten geschmuggelt werden.

Einige Monate sind nun seit diesen Erlebnissen ins Land gezogen. Michael Bauer ist sich auch rückblickend sicher, dass die Zeitspanne des Einsatzes mit drei Wochen gut bemessen war. „Mehr wäre stressig geworden“, sagt er. „Das heißt aber nicht, dass ich es nicht noch einmal machen würde.“ Immerhin habe er in der Ukraine mit „fantastischen Menschen“ zusammenarbeiten dürfen – darunter viele US-Amerikaner, Briten, Polen und natürlich Ukrainer. „Mit einigen habe ich noch immer Kontakt.“

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Michael Bauer, Intensivmediziner des Klinikums Saarbrücken, begleitete drei Wochen lang Kranken- und Verletztentransporte in der Ukraine.
Michael Bauer, Intensivmediziner des Klinikums Saarbrücken, begleitete drei Wochen lang Kranken- und Verletztentransporte in der Ukraine.