Teil 5: "Wir haben eine neue tödliche Krankheit wie im Zeitraffer jeden Tag besser kennen gelernt"

PD Dr. Konrad Schwarzkopf, Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, stand vor allem rund um die Corona-Pandemie vielen Journalisten als Ansprechpartner zur Verfügung – ob in Hintergrundgesprächen oder in erster Reihe, ob regional, deutschlandweit oder auch in Frankreich – und hat die Geschehnisse aus Sicht des Intensivmediziners eingeordnet. Für unsere Serie „#blickzurück“ berichtet er seine ganz persönliche Sicht auf diese Zeit – und wie er sie erlebt hat:

Abschied von bisherien Denkmustern

„Ich habe als Arzt die COVID-Pandemie als große Herausforderung wahrgenommen, die es nötig gemacht hat, sich komplett von bisherigen Denkmustern zu verabschieden. Aus dem aktuellen Erleben heraus kann ich mir inzwischen viel besser vorstellen, wie Seuchen wie die Pest die mittelalterliche Gesellschaft verändert haben oder wie die Spanische Grippe am Ende des Ersten Weltkriegs den Wiederaufbau beeinflusst hat.

Ganz besonders hat mich fasziniert, wie schnell wir uns am Anfang von unnötiger Bürokratie trennen konnten und wie schnell es möglich war, hier bei uns massive Maßnahmen wie die Inbetriebnahme von zwei Behelfsintensivstationen binnen weniger Tage zu realisieren (COBAZ 1 und COBAZ 2). Von vielen anderen Krankenhäusern weiß ich, dass man dort nicht ansatzweise so erfolgreich mit der neuen Situation klargekommen ist. Die Tatsache, dass wir es sehr gut hinbekommen haben, macht mich sehr zufrieden.

Gigantische Leistung der evidenzbasierten Medizin

Ein anderer faszinierender Aspekt war, wie man eine völlig neue tödliche Krankheit wie im Zeitraffer jeden Tag besser kennengelernt hat, ständig neue Details in der Therapie angepasst hat und innerhalb von Monaten riesige Fortschritte in den Überlebensraten beobachten konnten. Die Sterblichkeit beatmungspflichtiger COVID-19-Patienten innerhalb der ersten neun Monate von 95 % auf 50 % zu reduzieren, ist eine gigantische Leistung der evidenzbasierten Medizin.

Pandemie als Fortschrittsbeschleuniger

Mein Glaube an die wissenschaftliche Innovationsfähigkeit des Westens ist gestärkt worden, die Geschichte der Entwicklung der neuen Impfstoffe gehört für mich in eine Reihe mit der Entwicklung der ersten Antibiotika. In diesem Bereich war die Pandemie ein Fortschrittsbeschleuniger und hat gigantische Veränderungen angestoßen, zu unserem großen Glück auch in der deutschen pharmazeutischen Industrie.

Negativ empfinde ich die Wissenschaftsfeindlichkeit und die totale Irrationalität, die in einem relevanten Teil unserer Bevölkerung herrscht.

Die Tatsache, dass ich als Intensivmediziner in einem Bereich tätig bin, der an vorderster Front bei der Bewältigung der Pandemie mithilft, hat bei mir nie das Gefühl des Ausgeliefertseins ausgelöst, von dem viele andere Menschen berichten. Ich glaube, dass es immer gut ist, wenn man aktiv an der Bewältigung eines Problems mithelfen kann.